Saturn frisst seine Kinder

Am Anfang war das Chaos. Das Chaos war, und ist es auch heute noch, rein intuitiv. Es stellt die Sprache, jedes einzelne Wort, wie auch jede Linie, jeden Tag, aufs neue in Frage. Wenn meine Kunst einen Urgrund hat, dann den, wie ich mich zu der Verführung durch solch ein „eingewurzeltes“ Chaos verhalte. Das Chaos, das mich fasziniert, hat keinen abgeschlossenen Punkt, der als Fundament dient. Alles bildet ständig neue Verbindungen aus, es ist keinem strukturellen Modell verantwortlich. Ist dieser Chaosgedanke verantwortlich für das Hinführen zu meinem Schreiben, zum Malen und zum Collagieren? Ein Chaos, dem einst, so sagt es unsere Kultur, Gäa, Tartaros und Eros entsprangen? Gäa, die aus sich selbst die Gebirge und die Meere zeugte. Uranos, der den Himmel über uns schuf… und der Welt seinen Sohn Kronos schenkte. Kronos, den Anführer der Titanen und späteren Vater von Gottvater Zeus. Können und wollen wir das alles noch so sehen? Gäa und Uranus als die Eltern der Titanen. Die Götter als die Kinder der Titanen.

Es waren die Götter, wie z.B. Saturn, der Gott der Aussaat, die uns Zeichen schenkten. Wie gehe ich als Künstler mit all diesen Zeichen und den permanenten Verführungsversuchen der Götter in meinem Alltag um? Glaube ich überhaupt noch an sie? Was sagen mir denn die Götter? Heute? Jetzt, in diesem Augenblick? Von Saturn (alias Corona, alias Sars, alias Pest, alias Typhus, alias „Geiz-ist-geil“) wird berichtet, er habe seinen Vater überwältigt und kastriert. Anschließend habe er alle seine Kinder gefressen. Bis auf eins. Am Ende sei er allerdings von diesem sechsten Kind gestürzt worden. Wer von uns wird dieses Kind sein? Wer kann sich am Ende selbst das sechste Kind nennen?

Die Fortschreibung der Vergangenheit ist nicht meine Zukunft

Ich bekomme das Heute nicht in den Griff; die Schatten, die das Licht aus Langeweile schlägt, sie erscheinen mir nicht logisch erklärbar. Die sogenannten Naturgesetze greifen dort nicht mehr, sind als Krückstock ungeeignet. Solch Schattenbilder verlassen ihren Wirt. Meine Erklärungen über diese Welt sickern in einen Äther, der noch an das eine Schicksal gebunden war. Meine Erkundungen vergletschern angesichts der Aufgeklärtheit unserer modernen Zeit und dem hurenhaften Gerede ihrer Statistiken.

Diese versprechen mir alles: den Himmel auf Erden, die Hölle to go. Sie breiten sich obszön vor mir aus. Aber nichts liegt vor mir, was sich vergleichen ließe. Jede der Naturgewalten und -schönheiten wirbt um sich selbst. Diese Göttinnen, allesamt klischeehaft herausgeputzt, versprechen mir den Sinn und mein Glück an ihren rasierten Quellen zu finden. Ich schreite ihre Parade ab wie eine Ansammlung von unabhängigen Sachverhalten: Madame Corona, Lady Sars, SweetSusiCovid 19 – alle sind sie als Zauberwesen einem unfassbaren Traum entsprungen. In zarter Wäsche, die nur sehr unzureichend ihre Aufdringlichkeit kaschiert. Als Bilder sind sie nicht begreifbar; sie anzufassen – selbst ein gedankenvolles Fühlen – würde teuer bezahlt werden müssen. Es gibt zur Zeit kein richtiges Ich. Nur ein ungefähres. Das Leuchten meiner Augen wird durch eine Bewegungsunschärfe überhöht. Die Iris erhält einen Kranz umgelegt, weil sie das Ziel erreicht hat: die sich verzweigende Zeit. Jedes Auge bekommt ein eigenes Herz geschenkt, mit dem es den Raum sortieren kann. Einen Raum, der sich ebenso zu teilen vermag wie die Zeit. Er teilt sich und teilt sich in eine chaotische, aber nicht zufällige Attraktion. Am Himmel erkenne ich mit solch einem Auge, am helllichten Tag, die Milchstraße wieder, den Königsweg, der die hin und her ziehenden Göttinnen direkt zu uns geführt hat. Direkt in meine Fingerspitzen, in meine Nervenenden, aus denen eine Flüssigkeit rinnt, grün, purpur oder dunkelviolett, damit ich mit Farben(-Namen) mein angeblich selbstbestimmtes Leben signieren kann.

Von Frauen und Hausmenschen

Blonde Damen sprechen ihre Liebhaber in perfektem Koreanisch mit einem höflichem „Sie“ an. Umgekehrt werden sie von dem Mann geduzt. Wörtlich übersetzt heißt die Vokabel für Frau „Hausmensch“. Hier und heute hilft ein Hausmensch dem kleinen Mann ins Jackett oder setzt ihm seine Mütze auf.

Wir befinden uns im „Museum für Sex und Gesundheit“, auf Süd-Koreas Honeymoon- Insel Cheju. Hier erklären Diagramme, wer auf dieser Welt am häufigsten Liebe macht. Angeblich sind es die Russen und Italiener. Koreaner tauchen in keiner Grafik auf. Ihre Heimat erscheint auf den Charts der Begierde als weißer Fleck. Auch in Sachen Corona. Noch immer gibt es keinen offiziellen Fall einer Infektion mit dem neuartigen Coronavirus in Nordkorea. Es darf auch keine Infektion geben. Denn der Virus würde die Gottgleichheit von Kim Jong-un in Frage stellen… Aber sollte es jemals eine Infektion geben, dann würde Kim den geisteskranken Virus gewiss und auf jeden Fall mit Feuer bändigen.

Coronafreie Bilder

Alles hier ein Flechtwerk von medialen Verästelungen, eingerollte und -geklebte Leben; Schneidewege ins Papier geschlagen, dünne kalligraphische Unterbrechungen, die keine Schwerkraft fürchten; Verzweigungen, die mir Mut spenden; Namen, die wie zarte Gedichte meine Lippen küssen: Stolzer Wellenreiter, Ruhe des Nordens, Steinblaue Schönheit, Sanfter Morgentau. Ich habe die Wände meines Schutzraums der Kunst mit diesen Farben gestrichen.

Mein Motto lautet heute schlicht und einfach: Gegen jegliche „Corona-Tristesse“ anmalen.

Ablenkung (Return to sender, address unknown).

Es ist gar nicht so anstrengend und schwierig, wie man glaubt, sich der inneren und äußeren Ablenkungen (auch und gerade in Zeiten von Corona) bewusst zu werden. Es bedarf dazu nur eines Liebesbrief, vergleichbar mit dem, den ich z.B. gestern im Briefkasten vorfand: „Ich bedanke mich herzlich für Ihre Einsendungen und bedauere es, Ihnen leider keine positive Rückmeldung geben zu können. Herzliche Grüße und weiterhin alles Gute für Ihr künstlerisches Schaffen! Ihr Kulturbüro“

Ach, geben mir die Götter nur ein stilles Plätzchen, wo ich für mich ungeschoren leben kann. Schauen und schaffen möchte ich und mich fern von allem Kunstgesindel halten. Denn solange ich meinen Geist durch solche „Liebesbriefe“ von meinen wahren Träumereien ablenken lasse, wird er, das ist wahr, nicht fertig damit. Ich werde dann nur der ewige Spielball von tausend, süssen Phantomen sein, deren Natur ich nicht wirklich begreife… aber deren Name ich kenne: Kunst. Und was ist nun mit dem Liebesbrief? Ich will es mit den Worten von Elvis Presley sagen: Return to sender, address unknown.

Das wahre Triptychon der Toteninsel Arnold Böcklins

An absoluten Zahlen gemessen gibt es die meisten Corona-Infektionen mit mehr als 600.000 Fällen in den USA, einem Land mit rund 330 Millionen Einwohnern. Dort starben infolge einer Infektion bislang mehr als 26.000 Menschen. Bis Dienstagabend (Ortszeit) verzeichnete die Universität in den USA allein 2228 Todesfälle innerhalb von 24 Stunden – so viele wie noch nie zuvor innerhalb eines Tages.