Die Kunstsensation, die uns gegeben wurde, damit man uns Knechten zeigt, was bald geschehen muss; und er/sie/es hat uns das Bild, das er/sie/es sandte, zuerst seinem Knecht Bach gezeigt.

Wahrlich ich sage Euch: Sehet! Wie ein „von Gott geschaffenes Bild“, das einzig wahre Bild zum Corona-Thema, das Bild, das wir vor allem anderen zu schützen haben. Nicht die Betrachter suchen sich ihre Bilder, sondern die wahren Bilder suchen sich ihre Betrachter…

And Now for Something Completely Different

„Bambi, warte! Du darfst niemals so hastig auf eine Wiese laufen! Du bringst Dich sonst in Gefahr. Da draußen sind wir ohne Schutz. Eine Wiese gibt uns keine Deckung. Es gibt dort keine Bäume und Sträucher, wo wir uns verstecken können. Darum müssen wir vorsichtig sein. Am besten Du wartest hier und ich gehe erst einmal allein nachsehen. Und wenn es ungefährlich ist, dann rufe ich Dich.“

(Niemand ruft)

Ich wünscht mir, dass ich eine Mutter hätte

Die Tränen greiser Kinderschar / Ich zieh sie auf ein weißes Haar / Werf in die Luft die nasse Kette / Und wünsch mir, dass ich eine Mutter hätte /… / Ich durfte keine Nippel lecken / Und keine Falte zum Verstecken / Niemand gab mir einen Namen / Gezeugt in Hast und ohne Samen / Der Mutter die mich nie geboren / Hab ich heute Nacht geschworen / Ich werd ihr eine Krankheit schenken / Und sie danach im Fluss versenken / Mutter, Mutter…  (Text: Rammstein)

P.S.: Till Lindemann, der Leadsänger der Band Rammstein soll an Corona erkrankt gewesen sein, es soll sogar Lebensgefahr bestanden haben, wie die BILD-Zeitung berichtete. Diese Nachricht erwies sich jedoch als falsch. In seiner Insta-Story postete Till Lindemann …(den) Spruch: The virus that wants to conquer me is not created yet! – also: Das Virus, das mich besiegen will, ist noch nicht erfunden worden!“ (Quelle: SWR3 vom 30.3.2020) Der Spruch hätte fast von mir seien können. Siehe meinen Artikel „Kontaktsperre und andere Wahrheiten“, veröffentlicht am 21. April 2020.

Artenschutz aufgrund ästhetischer Prinzipien

Stellen Sie sich nur mal vor, sie müssten ihr ganzes Dasein von zu Hause aus zelebrieren. Ständig, verstehen Sie? Nicht nur ab und an. So ein paar Stündchen. Nein, rund um die Uhr. Ihr ganzes Leben lang. Der Grund  für dieses Exil wäre, nehmen wir nur mal an, die Ausgangssperre wegen des Corona-Virus, von dem man ja ständig was in den Medien hört und liest. Während Sie also jetzt dasitzen, eingepfercht in den eigenen vier Wänden, da fällt Ihnen plötzlich auf, dass Ihr Nachbar Künstler ist. Ein Musiker! Ein Stimmakrobat, der tagtäglich meint, er müsse seine Wagner-Arien vom Balkon runter schmettern und noch Applaus dafür einfordern. Oder ihr Nachbar ist ein ganz übler Fiedler und wohnt direkt nebenan. Wand an Wand mit Ihnen. Der Wahnsinnige malträtiert Stunde um Stunde seine Geige. Wenn das, was Sie da hören, überhaupt eine Geige ist? Wissen kann man das bei bestimmter Musik ja nie. Oder stellen Sie sich vor, ihr Nachbar frönt der Bildhauerei. In Marmor. Mit Meißel und Presslufthammer. Tag ein, Tag aus, so wie dem da nebenan die Muse küsst. Das ist ja hinlänglich bekannt, dass die Musen bei den Künstlern ständig ein und aus gehen. Was die dann alles so treiben, darüber wollen Sie lieber gar nicht erst nachdenken müssen. Sie würden erröten. Ehrlich, wenn Sie diese Szenarien für sich im Kopf mal durchgespielt haben, wissen Sie, was Sie sich dann von ganzen Herzen wünschen? Na? Richtig: einen Maler! Einen bildenden Künstler als Nachbarn. Einen netten Menschen, der sogar noch ein Kissen über seinen Pinsel legt, damit er beim Malen keinen Lärm verursacht. So einen Menschen wollen Sie neben sich wohnen haben, ganz ehrlich. Aber die sterben jetzt leider aus. Die stehen nicht unter Artenschutz. Und Sie sollten sich auch ruhig mal fragen, wann Sie einem Maler zuletzt ein Werk abgekauft haben, um ihn vor dem Hungertod zu bewahren. Also jammern Sie nicht, wenn die Wohnung neben Ihnen jetzt frei wird und jemand mit Schlagzeug dort einzieht, die Koffer randvoll mit Schlag- und Millionen von  Perkussionsinstrumenten. Viel Spaß noch in Quarantäne, wünsche ich Ihnen.

 

Kontaktsperre und andere Wahrheiten

Deutschland versucht, das Coronavirus mit einer Kontaktsperre aufzuhalten. Die Experten sagen uns, wir sollen zu Hause bleiben. Man darf die Wohnung nur verlassen, wenn man einen wichtigen Grund hat. Mich ficht das alles nicht an. Ich besitze schließlich den Schutzraum der Kunst und ich verbarrikadiere mich sicher hinter meinen Bildern. Das Virus, dass meine Kunst besiegt, muss erst noch geboren werden.

Trost in coronaverseuchter Zeit

In den sozialen Netzwerken befragen sich die User zur Zeit gerne nach den Musikstücken, die ihnen Trost und Zuversicht geben. Musik, die gegen Corona hilft. Oder wenigstens eine kleine Weile davon ablenkt. Würde man mich fragen, was mich auf andere Gedanken bringt, so lautete meine Antwort, und sie käme wie aus der Pistole geschossen: Johann Sebastian Bach „English Suite No 2 in A major BWV 807“. Als besonders wichtigen Hinweis würde ich sogleich noch vehement hinzufügen: eingespielt und interpretiert von Glenn Gould.

„Meine Liebe zu Bach ließ mich Musiker werden. Alles was mich interessierte, war von ihm geprägt. …“, sagte Glenn Gould einmal. Zuviel der Ehre, finde ich. Beschämt senke ich mein Haupt. „Ach, Herr Gould“, hauche ich leise. Muss aber sofort gestehen: Glenn Gould ist immer noch eine meiner größten Inspirationsquellen. Nicht nur sein Spiel. Auch seinen Texten, über so verschiedene Dinge, wie die Aufnahmetechnik als künstlerischen Ausdruck, Anmerkungen über die Sängerin Petula Clark, die er sehr schätzte, oder den Pianisten Arthur Rubinstein, dem eine einzige kleine Note in dessen Schallplattenaufnahme schmuggelte, verdanke ich ein gänzlich anderes Verständnis von Kunst. Als auch von Kunstvermittlung oder -interpretation. Gould schrieb witzig, gebildet, eigenwillig. Er liebte die Sound-Collage wie z.B. bei „The Idea of North“, einem Teil seiner “kontrapunktischen Dokumentarwerke“. Glenn Gould galt stets als Sonderling mit einer eigenwilligen Spielweise, der Isolation durchaus als Glück empfand. In solch einer Charakterstudie konnte ich mich gut wieder entdecken. Schon sehr früh verliebte ich mich in den Notizteppich von Markierungen und Anmerkungen, den Glenn Gould oft über den originalen Notentext einer Partitur legte, sodass dieser stellenweise darunter verschwinden musste, um der ureigenen Interpretation Raum zur Entfaltung zu geben. Glenn Gould zeigte mir auf, was auch im Zeitalter technischer Dominanz an individueller Größe möglich seien kann. Obwohl ich ja eher ein analoger Spieler in einer digitalen Welt bin, hat mich Corona an meinem Computer Platz nehmen lassen. Um Tag für Tag meine Gedanken und Bilder zur Pandemie mir aus der Seele ans Licht zu holen und… oder sollte ich sagen… um Bach zu hören.

Die erinnerte Zeit

Das eigene Leben ist viel zu kurz, sagte einmal jemand, und fügte hinzu, die Lektüre von Marcel Proust sei dagegen viel zu lang. Aber jetzt gerade hätte man doch die Zeit dafür, denke ich. Für Proust. Lehne ich mich also entspannt zurück und gehe mit Marcel Proust auf die Suche nach der verlorenen Zeit. Die Zeit vor Corona ist längst eine Zeit geworden, die unwiederbringlich verloren gegangen ist. Vielleicht verstehe ich deshalb auch endlich Marcel Proust, der schon früher erkannte, dass Zeit erst einmal vergehen muss, dass Zeit verloren gehen muss, damit wir uns erst wieder an sie erinnern können. Der Schriftsteller erklärt mir, dass ich etwas eigentlich nur retrospektiv in meinen Erinnerungen erleben kann, nie in der Gegenwart. Was aber sind dann meine täglichen Tagebucheinträge, all meine Artikel auf dem Blog? Augenblickliche Erlebnisse? Ich schreibe, also bin ich. Oder sind solche Dinge, meine Kunst, Erinnerungen an kommende, an mögliche Erlebnisse? Vorahnungen gar? Meine Geburt und mein Tod existieren, so wie alle Dinge um mich herum existieren. Geburt und Tod existieren nur zu verschiedenen Zeiten. Meine Kunst lässt mich zwischen diesen Punkten hin und her reisen. So stehe ich am Laufstall meines Vaters. Und schließe meine Mutter, die 2019 verstarb, wieder in meine Arme. Kunst ist immer auch eine Suche nach der unfassbaren, aber möglichen Zeit… wie dieser jetzt… hier:

Corona, meine Kulturheidelbeere

(„Die Heidelbeere“, Margit Farwig): Verlockend hängt im Morgentau / die Heidelbeere elfenblau / nach Beerensitte, altem Brauch / verweilt geduldig sie am Strauch. / Für Tier und Mensch hat sie geblüht / erst weiß, dann rosa sich bemüht, / zu werden eine grüne Beere / nahm zu so nach und nach an Schwere. / Der Nebelschleier hellstes Grau / vermischte sich mit Himmels Blau / nun so zu leuchten wie die Nacht / zu schmecken gleich der Himmelsmacht. / Bin ich – wie nennt ihr′s doch? – ein Schizophrene. / Ihr wollt, daß ich verschwinde von der Szene, / Um euren eigenen Anblick zu vergessen. / Ich aber werde eure Worte pressen / In des Sonettes dunkle Kantilene. / Es haben meine ätzenden Arsene / Das Blut euch bis zum Herzen schon durchmessen. / Des Tages Licht und der Gewohnheit Dauer / Behüten euch mit einer sichern Mauer / Vor meinem Aberwitz und grellem Wahne. / Doch plötzlich überfällt auch euch die Trauer. / Es rüttelt euch ein unterirdischer Schauer / Und ihr zergeht im Schwunge meiner Fahne :(Hugo Ball, „Der Schizophrene“)

Königliches Leben und Sterben

Der Autor und Kulturwissenschaftler Wolfgang Ullrich schrieb einmal, dass, wenn sich König*innen und Künstler überhaupt einmal auf gleicher Augenhöhe begegnen wollten, dann gelänge dies nur in einem Künstleratelier. Beim Empfang einer königlichen Hoheit in einem Atelier wird dem Künstler bewusst werden, dass er nur dort, als Künstler, in sich die Möglichkeit verspürt, sich selber königlich zu fühlen. Denn nur dort, im Atelier stehen sich König*in und Künstler als gleichwertige Souveräne gegenüber. Auge in Auge.

Beide, König*in und Künstler, sind von Haus aus autonom. Mit Verlaub, mir ist das schon seit Jahrzehnten klar. Als Künstler bin ich vergleichbar eines/einer König*in, bin der Würdenträger meines souveränen Staates. Das Land, das ich regiere, es nennt sich Atelier. Hier herrsche ich. Und nur ich ganz allein. Was würde ich eine königliche Hoheit fragen wollen, käme man zum Tee vorbei? Ich würde wissen wollen: Was ist ein wirklicher Gedanke? Und welche Sätze sind Ihnen wichtig, um ein Licht auf diese Gedanken zu werfen? Nach dem Menschen würde ich fragen, nicht nach irgendeinem dummen Titel… ich würde Fragen stellen nach dem Leben, der Liebe, der Lust und dem Tod. Fragen öffnen ein spezifisches Tor: Das Tor zur jeweiligen Fragewelt. Will ich dahin? Will ich dort sein? Will ich dort verweilen, Antworten suchen, antworten – und die andere Welt, in der ich gerade bin (vor der Frage), verlassen? Wer bestimmt hier? Bin ich noch souverän genug, eine, diese, jede Frage abzuweisen, ihr Tor zu übersehen, mich nicht hindurch ziehen zu lassen?, so fragt sich der König, wie er so dasteht in meinem Atelier. Oder die Königin? Über mir steht niemand, sage ich ihr. Meine Geburt, mein Leben, mein Tod. Und: meine Entscheidung, eine Frage aufzunehmen, in sie einzuschwingen. Eure Grenzen mögen Flüsse und Bergketten sein. Meine Grenzen liegen am Ende einer Linie, am Ufer einer Farbe. Vielleicht begrenzt mich auch nur die Zeit. Aber selbst die werde ich überleben. ›When The Music’s Over‹…‚Cancel my subscription to the resurrection / Send my credentials to the house of detention’ (Kündige mein Abo auf die Wiederauferstehung / Schicke meine Referenzen an die Haftanstalt) / ‚I am the Lizard King – I can do anything’ (Ich bin der Eidechsenkönig – Ich kann alles): Ich schiebe einer Königin den Rock hoch, während sie einen Mann beim Sterben zusieht. Im An- und Augenblick des Todes will sie gerade jetzt nicht auf die Energie und die Impulse eines Künstlers verzichten… Keine weiteren Fragen mehr, meine Königliche Hoheit… Beide sehen wir nur nach farbige Sterne vor unseren Augen.